Foto:  ©  Wilfried  Hösl  /  Bayerische  Staatsoper ;  Alle  Rechte  vorbehalten



Mozarts ZAUBERFLÖTE
in der Bayerischen Staatsoper

4 von 5 Operngläsern
Prädikat: Sehr sehenswert!





Guter Stil ist zeitlos
oder: Die herrliche Symmetrie der Dinge


„Das Herz adelt den Menschen“, soll Mozart einmal gesagt haben.
Wenn das stimmt, gilt der Sinnspruch für die Münchner Inszenierung der Zauberflöte gleich im dreifachen Sinne.
Der Dinosaurier des Repertoires stammt nämlich aus dem Jahre 1978, von niemand geringerem inszeniert als Münchens Tausendsassa in Theaterdingen: Regisseur August Everding.
Wer das Glück hat – so wie der Autor dieser Zeilen – einmal mit Herrn Everding
zusammengearbeitet zu haben, weiß, dieser Mann hatte ein Herz (erstens!) wie ein Bergwerk,
und all seine Liebe floss in die Oper. Das Resultat kann man seit nun mehr sage und schreibe 34 Jahren auf der Bühne der Münchner Staatsoper erleben: eine Zauberflöte, die wirklich Herz hat (zweitens!).
Kein neumodischer Kram, wie man so schön sagt, sondern eine altmodische, antiquierte, liebevolle
Bühnenschau für alle Altersklassen. Und (drittens!), wer auch immer in München den
Daumen für die nächste Spielzeit immer wieder für Everdings Wunderwerk hebt, muss ebenfalls Herz haben.
Ein Herz für die „Gute, alte Zeit“.


Ja, Mozarts Oper ist voller Tiefe und Symbolik.
Das wird von Regisseuren immer wieder gerne ausgenutzt,
um das wundervolle Märchen in absurde Kontexte zu heben.
Mal begegnen wir Tamino im Schulzimmer, dann wieder im
Schlachthof, oder ganz abstrakt und losgelöst im surrealen Raum.
Nicht so in München.


Hier geht seit 1978 alles seinen gemächlichen, herrlich
kitschigen Gang. Die Schlange zu Beginn des ersten Aktes ist
nicht nur ein hübscher Lindwurm, sondern er darf auch
Feuer spucken.
Wenn sich im Libretto das Gebirge teilt, tut es das auch auf
der Bühne. Die sternflammende Königin tritt das erste mal als
Silhouette vor dem Mond auf, mit funkelnder Krone und Miederkleid.

Immer wieder funkelt am Himmel ein Sternenmeer und es rollt
bei jeder „Verwandlung“, die von Schikaneder eingeplant wurde,
tatsächlich ein neues Bühnenbild heran.
Man könnte vor Freude jauchzen!

Tamino, der laut Vorlage ein exotischer Prinz sein soll,

könnte in seiner Kostümierung direkt einer Turandot
entsprungen sein, Monostatos ist ein schmieriger Mohr – und                   
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Zauberflöte wie Glockenspiel sind genau das, eben magische
Musikinstrumente. Keine modernen, abstrakten Bemühungen,
aus dem Märchen etwas anderes zu machen.

Das erklärt vielleicht den ungebrochenen Bann, in den diese Aufführung den Zuschauer schlägt.
Alles ist so, wie das zärtliche Diktat der Musik es vorgibt. Mehr braucht Mozarts Meisterwerk
unserer Meinung nach auch nicht.

Es ist diese Leichtigkeit, die kindliche Begeisterung, die Everding in jede Szene fliessen lässt, von der die Inszenierung lebt. Die – zumindest im deutschen Sprachraum – meistgespielte Oper kann ihre Wirkung musikalisch voll entfalten und das Publikum ungehindert (sprich: leicht greifbar) auf eine Reise in die Fantasie mitnehmen.
Dabei ist es egal, ob im Zuschauerraum ein Kind sitzt, oder der Zuschauer „nur“ sein inneres Kind wiederentdeckt.


Besonders deutlich wird das „Altmodische“ vielleicht am konstant symmetrischen Aufbau des Bühnenbildes,
dem sich die Regie anpasst, und der heutzutage viel zu oft durch ein moderneres Raumverständnis aufgelöst wird.
Bei Everding sind die drei Pforten des Tempels noch hübsch harmonisch angeordnet:
Einer in der Mitte, einer links, einer rechts. Fertig.
Singen zwei Charaktere, tun sie dies nebeneinander, in der Mitte des Raumes. Der Priesterchor gruppiert sich

strahlenförmig um den siebenfachen Sonnenkreis, zum Schlußchor werden niedliche Grüppchen arrangiert.






























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Dabei spart Everding nicht an komischen Momenten.
Finden sich Papageno und Papagena endlich, werden sie umgehend von einer Meute kleiner Papageniis überrannt. Die drei Damen der Königin der Nacht schubsen, drängeln und zanken sich handgreiflich um den schlafenden Tamino.
Steinerne Löwen erwachen zum Leben und erschrecken Papageno (und Publikum!).
Kein Wunder gibt es unverhältnismäßig oft Szenenapplaus – der nicht immer den gesanglichen Leistungen zukommt, sondern oft auch spielerischem Talent, das sich auf den schwingen der Regie in die Höhe großer Opernkunst aufschwingt.

Neben Everding gilt der Dank des Zuschauers natürlich der schlichtweg umwerfend schönen Ausstattung von
Jürgen Rose, die im Laufe der Jahrzehnte nichts von ihrer majestätischen Eleganz verloren hat. In dieser Zauberflöte greift einfach alles ineinander: Regie, Bühnenbild und Kostüme sind zum Schwelgen. Besonders gefällt uns auch die Idee, nach der die Priester nicht in elegischen, etwa ägyptischen Kostümen auftreten, sondern in Kleidung ganz normaler Menschend es 18. Jahrhunderts, als wären sie zufällig Zeitgenossen von Mozart. Auch die drei Kanben mit gepuderten Perücken sehen zeitweise aus wie Miniatur-Wolferl. Süß, ohne kitschig zu sein.































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Fazit:

Wer zwischendurch die Nase voll hat von ach-so-modernen Inszenierungen,
wer ein malerisches Gesamtkonzept genießen kann –

oder wer seine Kinder nicht nur zu Hänsel und Gretel mit in die Oper nehmen möchte,

dem sei diese Aufführung sehr ans Herz gelegt. Denn, wie eingangs gesagt:
Das Herz adelt den Menschen. Und unser Herz schwärmt für diese Zauberflöte!